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Gendern – Woher kommt die Kontroverse?

Teammeeting der AWADO

Die geschlechtergerechte Schreibweise ist kein neues Phänomen. Das Thema gehört seit langem zu den Top-Diskussions- und Streitthemen, sowohl in der Arbeitswelt als auch in den Medien. Doch neue Angriffe rechter Gruppierungen auf die Gleichstellungspolitik sowie juristische Diskussionen um das Gendern verleihen dem Thema neue Relevanz. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter der Gleichstellung der Geschlechter und wie genau ist dieser Aspekt auf dem Arbeitsmarkt gesetzlich geregelt? Und vor allem: Warum sollten Unternehmen unbedingt auf eine geschlechtergerechte Sprache achten?

Zum Genderbegriff:

Der Begriff „Gender“ stammt aus dem Englischen und kann mit „Geschlecht“ übersetzt werden. Im engeren Sinne steht der Begriff für die Gleichbehandlung aller Geschlechter in der geschriebenen und gesprochenen Sprache. Dabei kann unterschieden werden, ob nur innerhalb des binären Systems (weiblich/männlich) gegendert wird, oder ob auch nicht-geschlechtliche und divers geschlechtliche Personen gemeint sind, wie es grundsätzlich wünschenswert wäre.
Eine korrekte und umfassende Begriffsdefinition gibt es nicht. Wichtig ist jedoch, dass eine geschlechtergerechte Sprache inklusiv und geschlechtersensibel sein will, niemand soll ausgeschlossen werden.

Geschichte des Genderns

Bis in die 1990er Jahre herrschte in der deutschen Sprache das sogenannte generische Maskulinum vor. Bei dieser Form der Personenanrede wird ausschließlich die männliche Form verwendet, Frauen sind aber grundsätzlich mitgemeint. Befürworter des generischen Maskulinums wie Peter Eisenberg bezeichnen diese Form als ein tief in der deutschen Sprache verankertes Phänomen, weshalb sie auch heute noch häufig verwendet wird (vgl. Schach 2023, S. 266). Unter Berücksichtigung der Frauenbewegung und der Gleichberechtigung von Mann und Frau geht die Geschlechtergerechtigkeit auf das Jahr 1900 zurück, als erstmals Frauen an deutschen Universitäten zugelassen wurden. Seit 1919 haben Frauen auch das Wahlrecht und seit 1953 sind Männer und Frauen laut Grundgesetz gleichberechtigt. In den 1990er Jahren wurden verstärkt Frauen- und Geschlechterforschungszentren eingerichtet, sodass es heute an den Universitäten verschiedene Schwerpunkte und eigene Studiengänge im Bereich Gender Studies gibt. Weitere Hintergrundinformationen stellen die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hier in einer Übersicht bereit.  

Was Unternehmen aus rechtlicher Sicht beachten müssen:

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist heute unumstritten und im Grundgesetz verankert, was auch sprachlich zum Ausdruck kommen muss, Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Ebenso selbstverständlich ist es, dass niemand wegen seines Geschlechts bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 ist das dritte Geschlecht in Deutschland im Geburtenregister eintragungsfähig und damit offiziell anerkannt. Dennoch entschied der Bundesgerichtshof nur ein Jahr später, dass Dienstleister*innen nicht zwingend zur Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache verpflichtet sind und die männliche Personenbezeichnung („Kollegen“ als Ansprache für das gesamte Kollegium) als geschlechtsneutral zu verstehen ist. Hier stellt sich zu Recht die Frage, warum es trotz der Anerkennung des dritten Geschlechts keine Vorgaben gibt, diese Vielfalt der Gesellschaft auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Denn spätestens seit der Anerkennung des dritten Geschlechts ist eine Beschränkung auf das binäre Geschlechtsmodell (also z.B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) nicht mehr zeitgemäß.

 

Dennoch gibt es Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung zur geschlechtergerechten Schreibung aus dem Jahr 2021, die eine geschlechtersensible Personenansprache empfehlen und Gendern als politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe bezeichnen.

 

Eine weitere wichtige Entwicklung war die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Es soll Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern. Das AGG gilt primär in der Privatwirtschaft, also für Arbeitnehmer*innen und Auszubildende unabhängig von der Rechtsform ihrer jeweiligen Arbeitgeber*innen. „Die Änderung des Personenstandsgesetzes im Jahr 2018 hat dazu geführt, dass zunächst staatliche und kommunale Einrichtungen und Behörden begonnen haben, neue sprachliche Sonderformen in ihre Sprachleitfäden aufzunehmen.“ (Schach 2023, S. 267). 

 

Dies spiegelt sich auch in den Stellenausschreibungen wider. So darf eine Stelle weder für eine bestimmte Altersgruppe noch für ein bestimmtes Geschlecht ausgeschrieben werden, was eine geschlechtsneutrale Ansprache voraussetzt. Die Personalabteilung eines jeden Unternehmens ist daher aufgefordert, jede Stellenanzeige geschlechtsneutral zu gestalten. Dies betrifft sowohl die Stellenbezeichnung als auch den weiteren Text und eventuelle Bilder.

 

Warum Unternehmen unbedingt gendern sollten

Sprache formt Bilder! Das hat vor allem Auswirkungen auf die interne und externe Kommunikation von Unternehmen. Generell gibt es unzählige Gründe, warum sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld geschlechtergerecht kommuniziert werden sollte. Hier 3 Gründe für Gendern in der Unternehmenskommunikation:

 

1. Eindeutigkeit
„Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sich zur gleichen Zeit“. Diese Aussage ist eigentlich klar. Alle männlichen Mitarbeiter sollen zum Meeting kommen. In den meisten Fällen sind mit solchen Aussagen aber auch die weiblichen und verschiedengeschlechtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint. Um solche Missverständnisse und Diskriminierungsrisiken zu vermeiden, ist Gendering unerlässlich. Ein gendergerechter Text, sei es eine interne Mail oder ein Social Media Post, ist eindeutig und frei von Missverständnissen. Es ist sofort ersichtlich, an wen sich die Nachricht richtet und welche Personen angesprochen werden sollen.

 

2. Repräsentation der Unternehmenswerte
Eine geschlechtergerechte Unternehmenssprache steht nicht nur für die Wertschätzung aller Menschen gleichermaßen, sondern auch für die Toleranz und Weltoffenheit eines Unternehmens. Darüber hinaus fühlen sich Kund*innen nachweislich besser angesprochen und können sich mit dem Produkt oder der Dienstleistung besser identifizieren. Eine geschlechtergerechte Sprache kann ein Unternehmen also wettbewerbsfähiger machen und die Kundenakquise verbessern.

 

3. Fachkräfte gewinnen und halten

Der Fachkräftemangel ist für viele Unternehmen eines der größten Probleme. Auch hier kann eine gendersensible Sprache eine große Hilfe sein. Gerade für Frauen, junge Menschen und Menschen mit Diversity-Hintergrund ist Gendern im Unternehmen besonders wichtig. Wer also geschlechtergerechte Sprache in seine Unternehmenskommunikation integriert und dies auch nach außen kommuniziert, erhöht nachweislich die Bewerber*innenquote des Unternehmens und kann so viele potenzielle Fachkräfte gewinnen. 

Darüber hinaus führt Gendering auch zu einer zielgruppenorientierteren und persönlicheren Kommunikation, was die Beziehung zu den Kund*innen stärkt. Insgesamt verbessert eine geschlechtergerechte Sprache die Gesamtkommunikation eines Unternehmens in jeder Hinsicht.

Fazit

Eine geschlechtergerechte Sprache ist Ausdruck der Wertschätzung von Geschlechtervielfalt. Zahlreiche Studien belegen, dass beispielsweise die Sprachwahl in Stellenanzeigen einen direkten Einfluss auf das Bewerber*innenfeld hat (Schach 2023, S. 266). Trotz fehlender allgemeingültiger Richtlinien zur Geschlechtergerechtigkeit in Unternehmen sind Gleichstellung und Diversität keine Randthemen oder Trends, sondern Imagefaktoren für Unternehmen. So ist es für jedes Unternehmen ratsam, seine Corporate Language, also seine Unternehmenssprache, zielgruppenspezifisch anzupassen und vielfältiger zu gestalten.

Literatur

Schach, Annika (2023): Diversity und Inclusion in Strategie und Kommunikation. Vielfalt und Konzeption, Kultur und Sprache im Unternehmen. Wiesbaden: Springer Gabler.