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Junge Zielgruppe verstehen und überzeugen

Die erfolgreiche Ansprache junger Leute der Gen Y und Z ist relevanter denn je für Organisationen, um Fachkräfte, Nachwuchs für Ehrenämtern, aber auch neue Kund*innen zu gewinnen und erfolgreich ans Unternehmen zu binden. Insbesondere Genossenschaften leben von ihren Mitgliedern. Wenn diese älter werden, braucht es neue, junge Menschen, die die Idee weiterführen. Doch welches Zukunftspotenzial hat die Rechtsform der Genossenschaft und wie können genossenschaftliche Organisationen gerade die junge Zielgruppe für sich gewinnen? Das wollte Jens Stoewhase von unseren Berater*innen Felix und Katharina wissen. Sie geben einen Blick auf die aktuelle Studienlage und liefern hilfreiche Schlussfolgerungen.

Jens: Katharina und Felix – sind Genossenschaften total verstaubt oder Unternehmen mit Zukunftspotenzial?

 

Felix: Da besteht für mich gar kein Zweifel: Die eG ist die Rechtsform des 21. Jahrhunderts. Wir leben in einer Zeit der permanenten Veränderung. Wer hier bestehen will, muss innovativ und kooperativ denken. Die Passgenauigkeit der Genossenschaft auf den Zeitgeist ist nicht nur spür- sondern sogar messbar: Ein Drittel aller Genossenschaften wurde in diesem Jahrhundert gegründet. Der kooperative Ansatz, dass man gemeinsam besser und nachhaltiger wirtschaften kann als alleine, ist hochmodern.

 

Wir leben in einer Welt der Multikrisen und der Ambivalenz. Das kann auf einzelne Menschen schnell überfordernd wirken. Das gemeinsame und selbstverantwortliche Handeln ist hier eine Lösung. Der Kern jeder Genossenschaft war immer schon folgende Grundüberzeugung: „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele.“ Eine Wirtschaft voller Einzelkämpfer*innen wird diese Krisen nicht bewältigen können. Werte wie Nachhaltigkeit, Solidarität, Verantwortung, Zusammenhalt und Selbsthilfe sind gefragter denn je – und finden in der eG ihre Entsprechung.

 

Katharina: Das sehen übrigens nicht nur wir so, sondern auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung: 84 Prozent bestätigen, dass die Region attraktiver wird, wenn Bürger*innen sie aktiv mitgestalten und 69 Prozent stimmen zu, Genossenschaften seien Unternehmen mit Zukunftspotenzial.

Jens: Woher stammen diese Erkenntnisse und gibt es noch weitere Insights, wie Genossenschaften in der Gesellschaft wahrgenommen werden?

 

Katharina: Die gibt es. Wir sind bereits absolute Fans vom genossenschaftlichen Prinzip, aber um das tatsächliche Zukunftspotenzial der Rechtsform zu erfassen ist es natürlich auch essenziell, die Außenwahrnehmung zu spiegeln. Aus dem Grund haben wir Anfang letzten Jahres eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage in einem der großen Online Panels in Deutschland durchgeführt. In kürzester Zeit konnten wir so ein belastbares Stimmungsbild von rund 2.000 Bürger*innen einfangen.

 

Die Befragung ergab, dass 65 Prozent der Deutschen Genossenschaften kennen und 16 Prozent selbst Mitglied in einer oder mehreren Genossenschaften sind. Die Ergebnisse zeigten jedoch auch, dass vor allem die jüngeren Generationen Genossenschaften bislang nur wenig auf dem Schirm haben. So gab mit 46 Prozent nahezu die Hälfte der 18-34-Jährigen an, noch nie etwas von Genossenschaften gehört zu haben oder den Begriff zu kennen, jedoch nicht genau zu wissen, was eine Genossenschaft eigentlich ist. Auch sind die Gen Z und Gen Y weitestgehend ratlos, in welchen Bereichen Genossenschaften vorkommen. Am ehesten vermuten die jungen Leute Genossenschaften im Bereich Wohnen (39 Prozent), gefolgt von Landwirtschaft (32 Prozent) und Handel (30 Prozent). Jede*r Fünfte, weiß keinen einzigen Bereich zu benennen. Wir haben es hier also mit einer deutlichen Wissenslücke zu tun. Erläutert man den Befragten jedoch das genossenschaftliche Prinzip, so stößt dieses auf sehr hohen Zuspruch, auch in der jungen Generation.

 

Felix: Das zeigt uns, welches Potenzial aktuell liegengelassen wird. Und es zeigt uns, welche Chance die Genossenschaft als Instrument der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft hat, um die Lebenswirklichkeit selbstwirksam zu gestalten. Diejenigen, die die eG bereits kennen, sind begeistert. Wir arbeiten daran, dass wir auch die anderen erreichen und überzeugen.

Jens: Um Genossenschaften greifbarer zu machen: In welchen konkreten Bereichen können Genossenschaften Lösungen bieten? An welche gesellschaftlichen Entwicklungen knüpfen die Modelle an? 

 

Felix: Generell kann man sagen: Genossenschaften funktionierten historisch überall dort besonders gut, wo der Markt alleine versagt. Jeder kennt die Wohnungsgenossenschaften in Großstädten. Groß geworden ist die Genossenschaftsidee aber vor allem im Landwirtschafts- und Bankenbereich. Auch hier gab und gibt es Märkte, in denen durch Kooperation Mehrwerte entstehen. 

 

In einer Studie des Genossenschaftsverbandes mit dem Zukunftsinstitut wurde auch ein Blick nach vorn gewagt. An welchen Megatrends dockt die eG besonders gut an und wo sind bestehende oder künftige Geschäftsfelder? Die Forschenden sehen in Megatrends „Lawinen in Zeitlupe“, da sie zuerst langsam an Fahrt aufnehmen, dann aber nicht nur einzelne Branchen oder Sektoren umformen, sondern ganze Gesellschaften. Die Genossenschaft in ihrer heutigen Form profitiert dabei von vielen Megatrends. 

 

Beim Genossenschaftsverband sehen wir diese Entwicklung in den steigenden Gründungszahlen, vor allem in den Bereichen, in denen Bürger*innen die größten Handlungsfelder sehen. Nehmen wir das Thema Energie zum Beispiel: In keinem anderen Sektor sehen wir so viele Neugründungen bei Genossenschaften wie hier. Dabei reichen die Geschäftsmodelle von gemeinsam betriebenen Nahwärmenetzen über Bürgerwind- und Solarparks bis hin zu Balkonkraftwerken und Mieterstrommodellen. Ich bleibe dabei: Verstaubt ist anders!

 

Katharina: Ich stimme Felix zu, Genossenschaften bedienen die relevanten Megatrends unserer Zeit und bieten Bürger*innen vor Ort die Möglichkeit, selbst auf diese Veränderungen zu reagieren und Lösungen aktiv mitzugestalten. Neben steigendem Umweltbewusstsein und Energiewende eröffnen Digitalisierung und neue Formen des Wohnens, Arbeitens und der Mobilität Chancen für die regionale Wertschöpfung. Die globalen Krisen wirken bei diesen Entwicklungen als Katalysator, besonders bei der jungen Zielgruppe. So hat die Covid-Pandemie nachweislich den Wunsch nach Regionalität und lokaler Autarkie weiter vorangetrieben. Die Menschen haben gelernt, wie fragil globale Lieferketten sein können und wie relevant die Unterstützung und Solidarität im persönlichen Umfeld vor Ort ist. 

 

Felix: Hier sehen wir eindeutige Entwicklungsfelder für Genossenschaften. Mit ihrer lokalen Netzwerkfunktion bieten sie Wertschöpfung vor Ort und Identifizierung mit einem gemeinsamen Projekt, insbesondere im ländlichen Raum. Das Thema Daseinsvorsorge wird im Zuge des demographischen Wandels zur überlebenswichtigen Frage für viele Kommunen. Auch in den Bereichen der sozialen Infrastruktur lassen sich kooperativ viele Dinge umsetzen, die alleine nicht geschultert werden könnten.

 

Jens: Durch Kooperation lässt sich also viel erreichen. Aber eine Frage drängt sich doch auf: Wollen die Bürger*innen sich überhaupt beteiligen und selbst einbringen?

 

Katharina: Wir haben in unserer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage insgesamt 15 Ideen für genossenschaftliche Konzepte getestet und die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden abgefragt. Die Umfrage zeigte, dass immer da, wo Menschen Verbesserungsbedarf für Ihre Kommune sehen, die Bereitschaft des persönlichen Engagements in einer entsprechenden Genossenschaft steigt. So stellt die medizinische Versorgung beispielsweise eines der häufigsten Handlungsfelder dar (30 Prozent der Deutschen sehen an ihrem Wohnort Verbesserungsbedarf). Zugleich würden sich 42 Prozent „auf jeden Fall“ oder „wahrscheinlich“ im Rahmen eines Medizinischen Versorgungszentrums genossenschaftlich engagieren. Eine weitere genossenschaftliche Lösung mit hoher Beteiligungsbereitschaft ist die Familiengenossenschaft, in der gemeinsam die Betreuung und Pflege von Kindern, Kranken und Senior*innen organisiert wird.

 

Das Konzept mit der höchsten Beteiligungsbereitschaft insgesamt war die Wohnungsgenossenschaft. Hier zeigte sich deutlich die Not durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, vor allem bei Personen mit städtischem Wohnumfeld. Die Landbevölkerung würde sich hingegen am stärksten im Bereich der regionalen Lebensmittelversorgung engagieren und sich in einer Genossenschaft von Landwirt*innen und Konsument*innen zur Erzeugung und Konsum regionaler Produkte einbringen.

Jens: Die großen Potenziale von Genossenschaften für wichtige Zukunftsthemen sind deutlich. Wie lässt sich das nun der jungen Zielgruppe näherbringen?

 

Katharina: Die zielgruppengerechte Ansprache und das Einbeziehen junger Generationen ist eine große Herausforderung, nicht nur für Genossenschaften. Wie jede Generation haben auch die Generationen Y und Z besondere Merkmale, die sie auszeichnen. So lebt vor allem die jüngere Gen Z in einer vollkommen digitalen Welt, kommuniziert und informiert sich weitgehend online. Die permanente Verfügbarkeit von Informationen und das ständige Feedback z. B. durch Likes in Social Media führt dazu, dass junge Leute häufig Schwierigkeiten haben, sich festzulegen. Denn jede Entscheidung für eine Option ist eine Entscheidung gegen viele weitere vermeintlich bessere Optionen. Staatliche Beschränkungen und Lockdowns während Corona-Pandemie hatte zudem weitreichende Auswirkungen auf das ohnehin schon ausgeprägte Bedürfnis nach Flexibilität, sodass ein langfristiges Festlegen und somit das Aufbauen einer Bindung von Unternehmen an die junge Zielgruppe zunehmend herausfordernd wird. Für Genossenschaften kommt erschwerend hinzu, dass neben den häufig vorhandenen Wissenslücken Genossenschaften oder zumindest der Begriff ein ziemlich vertaubtes Image anhaftet.

 

Felix: Junge Generationen kommunizieren verstärkt visuell und digital. Es führt daher kein Weg an einer professionellen Homepage und einem authentischen Social Media Auftritt vorbei. Die AKB kann hier als Beratungsagentur helfen, z.B. mit einem Social Media Check. In der Kommunikation mit jungen Menschen muss deutlich werden: Welchen konkreten Mehrwert bietet meine Genossenschaft? Warum sollte ich mich engagieren? Dabei wirkt es unterstützend, dass die Wertvorstellungen der Gen Y und Z sehr gut zu genossenschaftlichen Werten passen.
Des Weiteren gilt es, Aufklärungsarbeit auch in der analogen Welt zu leisten z.B. in Schulen und Universitäten. Ein typisches BWL-Studium z.B. vermittelt – wenn überhaupt – viel zu wenig über das Genossenschaftswesen.

 

Ein weiterer Ansatz sind die Schülergenossenschaften. Dies sind Bildungsprojekte, in denen Schüler*innen eigenverantwortlich Schülerunternehmen in der Form einer Genossenschaft führen. Bundesweit gibt es mehr als 180 Schülergenossenschaften. In der Rechtsform einer Genossenschaft erarbeiten sie eigene Geschäftsideen, Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe, schreiben den Businessplan und entwickeln die Satzung ihrer Genossenschaft. Darüber hinaus entwickeln sie Produkte und/oder Dienstleistungen, die sowohl schulintern als auch außerhalb der Schule vertrieben werden können. Vom Betrieb des eigenen Schulkiosks, über Digitalberatung, Produktion und Vertrieb von schuleigenem Honig und Schul-Merchandise ist der Kreativität der Schüler*innen keine Grenzen gesetzt. Der Genossenschaftsverband und einige seiner Mitgliedsunternehmen stehen als Partnergenossenschaften mit Rat und Tat zur Seite.

 

Jens: Vielen Dank euch beiden für die spannenden Einblicke!

Unsere Profis für dieses Thema:


Katharina Brachthäuser: Als Wirtschaftspsychologin und leidenschaftliche Marktforscherin ist Katharina Brachthäuser stets auf der Suche nach spannenden Insights. Mit insgesamt knapp 10 Jahren Erfahrung in zwei Marktforschungsinstituten verfügt sie über eine breite Expertise in quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden.

 

Felix Reich: Wo Politik stattfindet, ist Felix nicht weit. Im Team der Interessenvertretung bringt er seine Fachkenntnisse aus dem Politikstudium mit ein. Nach Abschnitten in Münster, Köln, Leipzig und den USA hat es ihn nun nach Düsseldorf zum Genossenschaftsverband gebracht. Um kooperativen Playern Gehör zu verschaffen, helfen ihm die Erfahrungen vom Projektmanagement bei KPMG und aus der internationalen Politikforschung.